Friedensnobelpreis 1944: Internationales Komitee vom Roten Kreuz

Friedensnobelpreis 1944: Internationales Komitee vom Roten Kreuz
Friedensnobelpreis 1944: Internationales Komitee vom Roten Kreuz
 
Das IKRK erhielt den Nobelpreis für seine umfangreichen humanitären Anstrengungen während des Zweiten Weltkriegs.
 
 
Internationales Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), im Februar 1863 in Genf von fünf Schweizer Bürgern gegründet, später auf 25 Mitglieder erweitert, die alle Schweizer Bürger sein müssen, zentrales Organ des Roten Kreuzes, das über die Einhaltung der 1864 beschlossenen und 1929 erweiterten Genfer Konvention wacht und die Arbeit der mittlerweile 114 nationalen Rot-Kreuz-Verbände koordiniert.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Friedensnobelpreis nicht vergeben. Allerdings wurde das Internationale Komitee vom Roten Kreuz 1945 nach Kriegsende mit dem Friedensnobelpreis für 1944 ausgezeichnet, und zwar für seine während der sechs Kriegsjahre geleisteten humanitären Bemühungen. Gunnar Jahn, der damalige Vorsitzende des Nobelkomitees, wies in seiner Rede am 10. Dezember 1945 ausdrücklich auf die großen logistischen Leistungen hin, die das Büro in Genf wie schon während des Ersten Weltkriegs für die Kriegsgefangenen erbracht hatte. Auch während des Zweiten Weltkriegs verstand das IKRK seine Hauptaufgabe darin, als Zentrum für Informationen über die Lage der Kriegsgefangenen zu dienen. Dazu war es durch die Neufassung der Genfer Konvention von 1929 ausdrücklich autorisiert. Denn die Konvention bestätigte dem Komitee das Recht, im Kriegsfall einen zentralen Suchdienst für Gefangene einzurichten.
 
Auch bei Differenzen über die Auslegung der Konvention kann das IKRK als neutraler Vermittler hinzugezogen werden. Neben der Zentralstelle in Genf bestanden 1944 in 16 Städten der Schweiz Nebenstellen, in denen rund 3500 Mitarbeiter tätig waren, davon 2000 ehrenamtlich. Sie bearbeiteten 60 nationale Karteien mit einem Umfang von 40 Millionen Karten, auf denen Anfragen und Auskünfte über die Kriegsgefangenen verzeichnet waren. Bei der Aufklärung von Einzelschicksalen musste bei den Gemeinden, Lagerkommandanten und den nationalen Rot-Kreuz-Gesellschaften nachgeforscht oder bei Kameraden verschollener Soldaten nachgefragt werden. In Verhandlungen mit den Kriegsparteien wurde auch der Austausch von Nachrichten zwischen getrennten Familienangehörigen ausgehandelt. Auf einem eigens entwickelten Formblatt durften Familiennachrichten mit höchstens 25 Wörtern mitgeteilt werden. Über 100 nationale Rot-Kreuz-Gesellschaften beteiligten sich an diesem Nachrichtenaustausch, insgesamt wurden über 24 Millionen Übermittlungen gezählt.
 
 Bemühung um Einhaltung der Genfer Konvention
 
Delegierte des IKRK waren unablässig unterwegs, um die Lage in den Kriegsgefangenenlagern zu überwachen. Etwa 4450 Lager in 56 Ländern wurden insgesamt besucht. Über 300 Delegierte, unterstützt von 200 Mitarbeitern, nahmen Beschwerden der Gefangenen auf.
 
Die Betreuung der Lager im deutschen Machtbereich stellte einen Schwerpunkt der Arbeit des IKRK dar. Doch ein großer Teil der Lager entzog sich vor allem im deutschen Machtbereich völlig einer internationalen Beobachtung: Während die englischen und amerikanischen Kriegsgefangenen des Naziregimes weitgehend korrekt behandelt wurden, waren ihre russischen Leidensgenossen einem unbeschreiblichen Martyrium ausgesetzt. Nach groben Schätzungen kehrten von 5,5 Millionen russischen Kriegsgefangenen 1945 weniger als die Hälfte in ihre Heimat zurück. Kommunistische Kommissare wurden sofort standrechtlich erschossen, obwohl dies ein klarer Verstoß gegen die Genfer Konvention war, die Deutschland unterschrieben hatte. Von Anfang an hatte Hitler den Krieg gegen die UdSSR als rassischen Vernichtungsfeldzug geplant. Offiziell erklärte man, dass die Sowjetunion die Genfer Konvention von 1929 nicht unterschrieben habe und dass deutsche Gefangene nicht besser behandelt würden. Auch Japan verweigerte den Rot-Kreuz-Delegierten den Zugang zu seinen Lagern, vor allem in den besetzten Gebieten.
 
So konzentrierten sich die Hilfssendungen des IKRK im deutschen Machtbereich in den letzten Kriegsjahren vor allem auf die alliierten Gefangenen. Es wurde jedoch immer schwieriger, die Hilfsgüter in die Lager zu bringen. Da neutrale Schiffe fehlten, charterte das IKRK Schiffe aus dem Besitz besetzter Staaten und setzte sie unter der Rot-Kreuz-Flagge für Transporte ein. Trotz entsprechender Kennzeichnung wurden sie teilweise angegriffen. Die Finanzierung dieser kostspieligen Unternehmen übernahm zum größten Teil die Schweiz — insgesamt stellte die Schweizer Regierung dem IKRK rund 36 Millionen Franken, das waren rund 55 Prozent der gesamten Ausgaben des IKRK während des Kriegs, zur Verfügung.
 
 Kein Wort zu den Vernichtungslagern
 
Trotz der beeindruckenden humanitären Leistungen, die nur durch unablässige diplomatische Vermittlungsbemühungen möglich wurden, hat das IKRK, so muss man wohl sagen, vor seiner wichtigsten Aufgabe versagt: Zu den nationalsozialistischen Vernichtungslagern herrschte Schweigen. 1945 rechtfertigte sich der damalige IKRK-Chef Carl J. Burkhardt damit, das IKRK hätte keine Erlaubnis bekommen, die KZs je zu betreten und somit das wahre Ausmaß des Grauens nicht gekannt. Man habe versucht, mit Lebensmittel- und Medikamentensendungen zu helfen. Doch angesichts der millionenfachen Gräueltaten an den europäischen Juden, die in Auschwitz, Treblinka und Majdanek ermordet wurden, wirkt diese Entschuldigung fadenscheinig. Tatsächlich belegen die Quellen eindeutig, dass das IKRK frühzeitig über den Holocaust Bescheid wusste. Der IKRK-Delegierte Marcel Junod hatte schon 1939 über Deportationen von Juden und die Zustände im Warschauer Ghetto nach Genf berichtet. Der Deutsche Industrielle Eduard Schulte informierte das IKRK bereits unmittelbar nach der Wannsee-Konferenz, bei der im Januar 1942 die so genannte »Endlösung der Judenfrage« beschlossen worden war, über die Absichten Hitlers. Im Oktober 1942 wurde im IKRK in einer Sitzung offen über das Vorgehen gegenüber dem Deutschen Reich diskutiert, und zu Beginn war eine Mehrheit der 23 Mitglieder sogar für einen öffentlichen Protest des IKRK. Doch schließlich setzten sich die Bedenkenträger durch, weil sie fürchteten, dass ein öffentlicher Appell die Gefahr eines militärischen Angriffs Deutschlands auf die Schweiz oder repressive Maßnahmen gegenüber Kriegsgefangenen heraufbeschwören würde. Kritiker halten dem IKRK vor, dass es noch nicht einmal auf vertraulichem Wege je direkt in Berlin für die jüdischen Opfer eingetreten ist. Der Genfer Historiker Jean-Claude Favez, dem 1988 alle IKRK-Archive zugänglich gemacht wurden, fasste seine Untersuchungsergebnisse so zusammen: »Das IKRK, das seine Macht auf moralische Autorität stützt, hat es nicht gewagt, diese wahrzunehmen und gegenüber dem Dritten Reich Risiken einzugehen. Es hat sich selbst gelähmt. Obwohl Genf fast alles wusste, war die Angst, etwas zu unternehmen, zu groß.«
 
M. Geckeler

Universal-Lexikon. 2012.

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